Grosser Münsterländer Zwinger "vom vorderen Kraichgau"

 

Gesamtheitlichkeit
(oder wie in der Physik: holistisch oder "geschlossene Systeme")

Wenn nachhaltig nicht als nachhaltig verstanden wird

Bei der Definition von Nachhaltigkeit gibt es zwei besondere Formen:
1. Damals in der Forstwirtschaft Lexikon der Nachhaltigkeit | Definitionen | Hans Carl von Carlowitz, 1713
2. Oder aktuell gemäß Brundtland: Lexikon der Nachhaltigkeit | Ziele und Wege | Brundtland Bericht, 1987

Während Carlowitz die reelle Bestandsgröße „Holz (oder Wald)“ als Grundlage nahm, ist die Brundtland-Version eher immateriell und zukunftsorientiert (Entfaltung nächster Generationen). Um die Jahre 2008 (Anfang der Bestrebungen CO2 zu reduzieren) bekam der Begriff in Bereichen der Produktfertigung und des dazugehörenden Marketings eine komplette Renaissance. Die Globalisierung war vorangeschritten und Industrieländer verstanden die Auslagerung von Teilefertigung als wesentlicher Bestandteil betriebswirtschaftlicher Entwicklung der Schwellenländer und der dritten Welt. Die Reduktion von CO2 verstand man im Kontext der Landesgrenzen, da auch die Zielvorgaben lokal waren. Aus diesem Aspekt wurde dorthin verschoben, wo es hier nicht weh tut. Gleichzeitig brauchte man im Fertigungsprozess wenig zu verändern. Kurz: lokal wurden Zahlen poliert, global nichts verändert. Obwohl die Indikatoren für den Klimawandel überall massiv sichtbar werden, glaubte man aus nationalem Wirtschaftsinteresse sich (bis zur Corona-Pandemie) nicht mehr zumuten zu können (die Pandemie generierte später dann Momente der Reflexion).

Die Verwendung des Wortes "Nachhaltigkeit" im Produktmarketing und industrielles Firmenimage akzentuiert Begriffe wie Vorsicht, Nachsicht, Rücksicht, Umsicht, aber nie das Vollumfängliche oder das "in allen Teilaspekten Ausgewogene". Das Handeln auszurichten an der Brundtland-Definition ist nicht einfach, oftmals wird dann auch behauptet, dass man nicht handeln soll. Auch solche Entscheidungen (etwas nicht zu tun) ist ein Handeln. Randthemen im Verhältnis zum Ziel richtig einzuschätzen bedarf nicht eine aktuelle Bewertung, sondern eine, die antizipativ ist. Die Reduktion der Biodiversität (nicht nur in der Anzahl Arten, sondern auch in deren einzelnen Populationsgrößen) kann unter keinem Aspekt mit Nachhaltigkeit beschrieben werden. Welche zukünftige Einschränkungen für nachfolgenden Generationen diese Abnahme als Folge haben wird, ist in einzelnen Fällen zu erahnen (z.B. Wildbienen). Da die Komplexität der Wildbiologie im Ganzen noch nicht ergründet wurde, kann man vielleicht zukünftig aus dem "Fehlen von etwas" den Eingriff von heute herleiten.

Energie-intensive Industrien haben große Schwierigkeiten ihre Nachhaltigkeit zu formulieren (meist kommen Argumente zu Firmenverbund, Arbeitsplätzen und globalem Wettbewerb; siehe dazu ThyssenKrupp klimaneutraler Stahl und H2).
Bei der Einführung des Plug-In Hybrid als Auto (Serienfertigung ab 1997) war der Enthusiasmus hoch, inzwischen sieht die Realität anders aus. Bemerkenswert ist der Unterschied zwischen Firmenflotte und privat gefahrenen Autos. Ein zweites, merkwürdiges Symptom ist das höhere Gewicht der meisten E-Autos und der Anteil der SUV, die weniger aus dem Bedarf (Gelände, Zugmaschine) sondern mehr aus dem Komfort besorgt wurden.

Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft“, geprägt im Jahr 1713 von Carlowitz, stellt sich die Frage wie ein Waldumbau sinnvoll sei, damit sie gegen dem Klimawandel standhält. Die aktuelle Szenarien setzen auf dem Ausgangspunkt „Waldfunktionen wie vorher“ (vor 30 bis 50 Jahren) auf. Dazu werden „klimaresistente“ Baumarten gewählt. War die wirtschaftliche Funktion in den letzten Jahrzehnten nur unter großen Prämissen erreichbar, ist sie aktuell nicht mehr kalkulierbar, da das Klima sich zu stark (und nicht mehr vorhersehbar) verändert.

Ebenso wird mit „erneuerbare Energien“ emotional ein Aspekt der Nachhaltigkeit vermittelt, die jedoch gelegentlich nicht gegeben ist. Biogas ist so zweiwertig. Hausmüll und Gartenabfälle, Schnittgut der Straßenmeistereien in der Biogasanlage ist eher positiv bewertet, gibt aber nicht die Menge. Ertragsreicher sind da große Wiesen in Gebieten mit geringem Viehbestand oder Äcker mit Mais. Auf der Ostalb gibt’s einige Magerwiesen, die inzwischen in der Bewirtschaftung umgestellt wurden. Was der Anlass war (Wolf und/oder Wirtschaft) ist zweitrangig. Durch Kunstdünger wurden mehrere Schnitte möglich (früher meist nur einen und der Rest mit Schafherden). Mehr Ertrag für die Biogasanlage führten zu einer starken Beeinträchtigung der Biodiversität (Flora wie Fauna).

Nachfolgend erläutere ich 3 Beispiele, die im ersten Moment deutlich eine Nachhaltigkeit bewirken (sollen), jedoch auch sehr merkwürdige Schattenseiten aufweisen.

1. So stellt sich die Frage, ob der Eigenverbrauch des Stroms der PV-Anlage vom Dach aus Anstandsgründen einen Limit hat.
2. In den Tagesthemen vom 21.8.2023 beschreibt Jürgen Maurer die Wirkung von Feuchte während der Ernte von Weizen (ab Min 24:00 in Tagesthemen 22:15 Uhr, 21.08.2023 - YouTube).
3. Mit dem Aktionsbündnis „Ländle Leben Lassen“ soll zukünftige Neubaugebiete eine Mindestwohndichte von 60 Personen pro ha haben.

In allen Fällen ist die Frage: „wer bestimmt für wen?“

1. Bei der PV-Anlage geht es primär um Eigentum; das schließt den Mieter erstmal aus. Auch das Balkon-Kraftwerk braucht Zustimmung der WEG oder des Eigentümers. Die PV-Anlage ist eine persönliche Investition mit Zuschuss vom Staat.

a) Da man nun Stromproduzent ist, kann man „mehr Strom als vorher nutzen“, jedoch impliziert der Mehrverbrauch auch anderen Aspekten wie Reifenverschleiß (Feinstaub), Verkehrsdichte (Stau), etc.

b) Und jener Verbrauch produziert wieder Wärme (Klima).

c) Ein E-mobil darf beim Nutzen weniger CO2 freisetzen, jedoch ist die gesamte Wertschöpfungskette (von der Herstellung der Teile bis zur Verschrottung) zu betrachten. Rohstoffgewinnung bis einschl. Teilefertigung hat den größten CO2-Fussabdruck.

d) Wenn der privat produzierte PV-Strom durch erhöhten Konsum privat verbraucht wird, stellt es die Absicht eine kollektive, gesellschaftliche Veränderung zu bewirken eher im Schatten.

e) Aus Sicht der 60% Pachtrate der landwirtschaftlichen Flächen stehen ähnliche Beantwortungen zu Agro-PV aus. Hinzu kommt der Aspekt der Aufgabenänderung in der Landwirtschaft. Der Landwirt beschreibt sich als Lebensmittelproduzent (für Getreide, Futtermittel, etc.). Wenn das Getreide, die Zuckerrüben, das Gras, etc. für Ethanol- oder Biogas-produktion verwendet wird, welcher Nachhaltigkeitsaspekt betrifft es da beim Komplex der Lebensmittelproduktion? Gleiche Fragen gibt’s wenn der Landwirt seine Äcker auf Agro-PV umstellt. Bei der WKA ist die Frage weniger exponenziert.

2. Über 60 Jahren hat sich viel verändert. Das Wetter wird aus Richtung Südwest anstatt aus dem Osten bestimmt. Die Klimaveränderung hat Trockenperioden im Frühling und Frühsommer gebracht, wo es früher milde geregnet hat. Aber auch Regenperioden sind im Hochsommer keine Seltenheit mehr. Die Modelle zur Wetterprognosen haben sich geändert, jedoch sind Wetterprognosen für den Landwirt unabdingbar für seine Planung der Feldarbeiten.

a) Wenn früher über die Erntezeit Regen gedroht hat, hat der Landwirt sein Risiko kalkuliert und notfalls früher geerntet. Dann musste das Getreide in der Genossenschaft (teuer) getrocknet werden, aber der Ertrag war für die nächsten 12 Monaten für Lebensmittel und Futter gesichert.

b) Im Beitrag der Tagesthemen suggeriert ein Landwirt aus Kupferzell, dass dank der Globalisierung das Regenwetter im August 2023 keine Not mehr auslöst. Wird dort versucht zu vermitteln, dass der Ernteausfall 2023 nicht so schlimm sei? Wird das finanziell betrachtet? Also würde das Getreide (Ernteergebnis) nicht gebraucht?

c) Nun ist Jürgen Maurer kein no-name unter den Bauern, sondern Stellvertreter von Joachim Rukwied (Präsident Deutscher Bauernverband). Die Machart des Berichtes entspricht nicht Standard Tagesthemen, sodass die Vermutung naheliegt, dass der Bauernverband ein bewusstes Messaging angestrebt hatte. Im Vorjahr (2022) gingen die Marktpreise wegen der Schwarzmeersperre extrem in die Höhe und bescherten viele Landwirte unerwartete Einnahmen. Nun soll der Landwirt wieder bedauert werden.

d) In vielen Berufssparten beschreibt man mit „gute fachliche Praxis (gfP)“ die Kompetenz zur selbständigen Regulierung und Betriebssteuerung, auf lokaler bis zu bundesweiter Ebene. Hierzu gehören in der Landwirtschaft Themen wie Pflanzenschutz und die Planung/Umsetzung von Einsaat/Stecken/etc. bis einschl. deren Ernte. Wenn also in vielen Landstrichen das Getreide schon eingefahren ist, kann anderswo das Getreide noch nicht „ideal trocken“ sein, es dem Regen zu überlassen, sodass es nur noch als Viehfutter verwendbar ist, hat nichts mit gfP oder Nachhaltigkeit zu tun.

3. Das größte Verwirrspiel mit Nachhaltigkeit erfolgt mit der Unterschriftenaktion „Ländle Leben Lassen“ (oder auch „Flächenfraß“ genannt. Aspekten dieser Sammlung, die in einem Volksantrag ans BW-Parlament münden sollen, sind beschrieben, sodass hier nur auf Themen der Nachhaltigkeit eingegangen wird.

a) Bei allen Denkmodellen für gesellschaftlichen Szenarien muss jeweils das gesamtheitlich Bild mitgenommen werden. In diesem Kontext stehen Baden-Württemberg und Bayern für einen wirtschaftlichen (Handel, Dienstleistung und Produktion) Schwerpunkt in Deutschland. Das führt auch zu Umzügen im Rahmen der Beschäftigung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird auch oft als Maßstab für Wohlstand genommen und Produktion wie auch Konsum lassen sich dort abbilden. Durch strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft hat die Logistik eine zentrale Bedeutung bekommen. Dort steht ein Bedarf an Gewerbeflächen gegenüber. Diesen Bedarf nicht zu beantworten, fordert die Gesellschaft auf Alternativen zu entwickeln, die ihrerseits Einfluss haben können auf „Wohlstand“. Dabei ist der Begriff „berufliche Entwicklung“ eingeschlossen. Ältere Generationen entscheiden für jüngere.

b) Extrem sichtbar wird der Generationenaspekt für Neubaugebiete. Aktuelle Eigentümer (die sich am Ende ihres Arbeitslebens befinden oder schon Rentner sind) von geräumigen Häusern auf Standard Grundstücken entscheiden, wie deren Enkel wohnen werden. Städter entscheiden für den ländlichen Raum.

c) Die Aktion erklärt, dass zunehmende Versiegelung eine Abnahme von fruchtbaren Böden beinhaltet. Im Jahr 2022 durfte die Landwirtschaft existierende Brachen für Futtermittelproduktion kultivieren. Ist nun die alte Brache plötzlich fruchtbaren Boden geworden? Mit Nitratbelastung, Pflanzenschutz und Eutrophierung wird massiv im Biotopcharakter zum Gunsten landwirtschaftlicher Produktion eingegriffen. Wie wird hier Nachhaltigkeit wo abgegrenzt? Ein Blick im Erntebericht 2023 zeigt die aktuelle Gefährdung des Geschäfts „Landwirtschaft“. Leider wird nicht mit anderen Produktionszweigen verglichen; oder anders gesagt: einen Rückgang von 4% zum Vorjahr reicht für Herrn Rukwied aus ein Krisenszenario auszurufen. Einen Zeitreihenvergleich zeigt aber eine langfristige Zunahme.

d) Das Marketing hinter dieser Aktion benutzt mehrfach und gekonnt die Suggestivebene und kreiert latenter Zuspruch. Da die „urbane“ Gesellschaft Details nicht kennen, sollen sie fehlgeleitet werden, wie auch anderswo in aktuellen Sachthemen.




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